VOM PHÄNOMEN DER ENTANTWORTUNG
eine allgemeine Betrachtung zum Auslöffeln der Suppe im großen Stil
Jeder,
der unvorsichtig genug war, eine Frage zu seinem Mobilfunktarifes lieber
telefonisch klären zu wollen statt ihn im ehrlichen Faustkampf mit seinem
persönlichen Berater auszufechten, kennt ihn: Jenen semitautomatisierten
Kommunikationsspießrutenlauf zwischen Spracherkennung, Musikkonserve und einem
bedingt motiviertem aber um Freundlichkeit bemühten Mitarbeiter. (Wobei letztere
einen mitunter sogar kontaktieren, ohne dass man eine Frage hätte. Nur um die
Vorteile neuer Tarife zu propagieren oder einen in die Niederungen der repräsentativen
Umfragehölle zu locken. In dem einen wie dem anderen Fall kann der
Endverbraucher davon ausgehen, am anderen Ende der Leitung, jemanden
vorzufinden, der nicht verantwortlich ist. Weder im Hinblick auf den
Mobilfunktarif noch irgend etwas anderes, das zu diesem Zeitpunkt mit jener
Person geklärt werden könnte. Sie bildet in ihrem Callcenter am Ende der Welt
vielmehr einen natürlichen Schutzwall zwischen den Verantwortlichen und dem zu
Verantwortenden. Die persönliche Verantwortung des Callcentermitarbeiters ist hinsichtlich
des Problems tatsächlich so weit verdünnt, dass sie allenfalls noch in
homöopathischer Dosierung vorhanden ist.
Ein
Phänomen, das seinen Weg in unsere Gesellschaft gefunden und sich derart
verselbstverständlicht hat, dass die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen sich dieser
Tage mitunter leichter als ein Verantwortlicher findet. Dem Ganzen liegt das
Prinzip der Entantwortung zugrunde, deren
Inhalt Schaffung einer größtmöglichen Entfernung zwischen Verantwortung und
Verantwortlichem mit allen zur Verfügung stehendenden Mitteln von Hierarchie
bis Bürokratie ist.
Besagter
Entantwortung wohnte freilich, wäre sie ein ledigliches Callcenterproblem und
erstreckte sie sich lediglich auf die unsachgemäße Handhabung von Irgendwas,
ein gewisser Unterhaltungswert inne. Den hat sie auch bei der Deutschen Bahn,
Zugreisende durch Verschweigen etwaiger Verspätungen in demaiziérscher Manier
nicht zu verunsichern trachtet und für alle schließlich doch auftretenden
Probleme und sich entladende Aggression lediglich den Fahrkartenkontrolleur
sowie eine nicht ganz ernst zu nehmende Entschädigungsregelung zur Verfügung
stellt.
Ähnlich
verhält es sich auf dem nächsthöheren Level im Unglücks- oder Katastrophenfall,
der sich im entantwortlichen Sinne durch Entlassung eines Vorstands mit vollen
Bezügen, kaum nennenswerte Zahlungen und entsprechende mediale Ausrichtung der
öffentlichen Aufmerksamkeit aus der Welt schaffen lässt. Ganz im Sinne von
Ambrose Bierce, der die Aktiengesellschaft bereits in seinem satirischen
Wörterbuch des Teufels als eine
raffinierte Einrichtung zur persönlichen Bereicherung ohne persönliche
Verantwortung definierte.
Womit
natürlich noch nicht einmal die politische Ebene angerissen wäre, in deren
Rahmen ja nicht nur Krieg, Korruption und einiges mehr entantwortet werden muss,
sondern jeder der seinen Hut nehmen muss auch noch eine Hand für den Geldkoffer
frei und gegebenenfalls auch noch einen Sündenbock im Aktenschrank hat.
Die
Vielfalt der Entantwortungsmechanismen ist immens und sie prägen uns alle. Heutzutage
scheint niemand mehr für etwas geradezustehen, was er einem anderen in die
Schuhe schieben kann. Oder um es mit dem alten Bismarck zu sagen: „Die Scheu vor der Verantwortung ist eine
Krankheit unserer Zeit.“
Selbst
die Tatsache, dass man in vielen Fällen zumindest noch nach dem Geschäftsführer
rufen kann, täuscht nicht darüber hinweg, dass dieser Tage kaum noch jemand
aufsteht und öffentlich sagt: Ich war’s.
hab’s verbockt.
Genauer
betrachtet, leben wir in einer Gesellschaft, in der Verantwortung vor allem für
Anschläge und überwiegend von Terroristen übernommen wird.
Was
ich persönlich ein wenig irritierend finde.
1 Kommentar:
Lustige Begebenheiten aus meinem Berufsalltag, die ich mir dank deiner Ausführung nun endlich erklären kann:
Ich war im vergangenen Jahr zwei Mal genötigt, für einen Fehler geradezustehen, den ich ganz allein zu verantworten hatte. Mag es an meiner pragmatischen Erziehung oder an der Freiberuflichkeit liegen, derzufolge ich schlicht keine Mitarbeiter oder Vorgesetzte habe, auf die ich Schuld abwälzen könnte: Ich räumte meine eigene Schussligkeit ein und bat um Entschuldigung. Und siehe da: Sie wurde mir nicht nur gewährt, sondern es wurde sich dafür bedankt! Zwei Mal Sache-verbockt, zwei Mal mit einem Danke des Gegenübers und einer Verwunderung meinerseits aus der Sache entlassen worden.
Nun ahne ich endlich, warum dies so kam: Offensichtlich ist das Einräumen eigener Fehler ein so seltenes Gut geworden, dass man es schon allein wegen seiner Exklusivität zu schätzen weiß. Danke für diese Erkenntnis!
Und die Moral von der Geschicht: Gib deine Fehler zu, solange es kein anderer tut. Man wird es dir danken.
Außer den Terroristen. Die haben eben einen echt undankbaren Job.
Kommentar veröffentlichen