Montag, April 16, 2018

WARNUNG VOR DEM BUCHE


WARNUNG VOR DEM BUCHE
Kritische Betrachtung einer bibliophilen Individualsituation

Bücher. 
Sie kennen das.
Diese Art, auf die sie sich hemmungslos und ohne Rücksicht auf Regalkapazitäten vermehren. Bis man irgendwann anbauen oder in eine größere Wohnung ziehen muss. Weil diese Biester kein Maß kennen. Und dann auch noch ihre Freunde mit nach Haus bringen wollen. Denen man schlussendlich nur entgehen kann, wenn man sich radikal für nichts mehr zu interessieren beschließt. Was mir persönlich bis jetzt noch nicht gelungen ist. Manchmal interessiere ich mich sogar versehentlich für Dinge. Über die es dann meist auch Bücher gibt. Mit deren Hilfe man sich behutsam an das Thema heran lesen kann. An jedes Thema. Wobei man in der Regel ungefähr vier Titel braucht, um zu erahnen, welche vier Titel man brauchen wird, um jene vier Titel herauszufinden, mit deren Hilfe man die Angelegenheit so weit erfasst hat, dass man zu den wirklich fundierten Titeln übergehen kann.
Wie Erasmus von Rotterdam Anfang des 16. Jahrhunderts treffend feststellte: "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand."
Wenn man dann auch einen analogen Vertrauensbuchhändler hat, wird das Ganze sogar noch fataler. Ich kenne so ein Exemplar. Und obwohl ich selbst für manch laufenden Meter Bücher in den Regalen anfälliger Leser verantwortlich bin, bin ich doch auch selbst nicht gefeit vor dem Stoff, den ich im wortwärtigen Zwielicht verschachere. Wenn ich nach einer Lesung bei besagtem Buchhändler meine Gage bekomme, holt dieser die handverlesenen Bücher hervor, die mich seiner Meinung nach interessieren könnten. Was wiederum dazu führt, dass ich, wenn ich seinen Laden verlasse, in der Regel nicht nur keine Gage bekomme und draufgezahlt habe, sondern auch noch mehr zu schleppen habe als vorher. Bücher. Obwohl ich gar keinen Platz mehr für sie habe. Weil sich dort, wo sie stehen könnten, bereits andere ihrer Art befinden. 
Schlimmer noch sind natürlich Museumsbuchhandlungen. Dort nämlich gibt es Bücher, die auch noch gut aussehen. Und entsprechend kosten. Statistischen Erhebungen der vergangenen Jahre zufolge ist es mir beinahe unmöglich, eine Museumsbuchhandlung zu verlassen, ohne dort zumindest 100,00 € ausgegeben zu haben. Für exakt die Bücher, die mir in meiner Sammlung noch gefehlt haben. Ohne dass ich zuvor überhaupt um ihre Existenz gewusst hätte. Seltsam. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich austricksen. Mich zu ihrem Wirt erkoren haben. Schlauer sind als ich.  
Selbst potentielle Konterstrategien beeindrucken Bücher generell nicht. Etwa ein Partner, mit dem man Buchhandlungen künftig bloß noch gemeinsam zu betreten und Bücher nur nach Rücksprache und mit gegenseitiger schriftlicher Genehmigung zu kaufen beschließt. Abgesehen vielleicht von einem Autor. Einem Thema. Einer Ausnahme. Über die man dann vier Bücher kaufen darf, die einem den Kauf vierer Bücher erlaubt, mit deren Hilfe man…
Wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, dass man lieber mit Büchern als mit Menschen Umgang hat, wenn einem zwischen den Seiten mehr Lust und Sinnlichkeit als aus dem eigenen Leben entgegenschlägt, dann ist es vermutlich zu spät. Und nur so lässt es sich erklären, dass ich unlängst, ohne überhaupt Platz für zu haben, aus einem Nachlass 450 Märchenbücher erworben habe. Weshalb ich mir jetzt ein sinnvolles Projekt einfallen lassen muss, um diesen unbesonnenen Akt im Nachhinein zu rechtfertigen. Und einmal mehr nötigen mich Bücher, mein Leben ein wenig nach ihnen auszurichten. Weil es mir im Lauf eben jenes Lebens nicht gelungen ist, mich für nichts zu interessieren.
„Man kann nichts von nichts sagen. Daher kann es keine Grenze für die Zahl der Bücher geben“, wusste schon der rumänische Philosoph Emile Cioran und ahnte als er das sagte womöglich schon, dass man mich am Ende meines Lebens aus einer kleinen Einzimmerwohnung tragen muss, während man an meinem Schlüsselbund die Schlüssel vierer weiterer Wohnungen findet, in denen meine Bücher stehen. 
Bücher. 
Sie kennen das.
Und wenn nicht, sollten Sie das vielleicht ändern. 




Sonntag, Februar 11, 2018

VERSUCH EINES DEPRESSIONSEXORZISMUS



MEHR TRAURIGKEIT ALS PLATZ DAFÜR
halbschönes Erwachen in ungewollter Gesellschaft 



Schon während ich die Augen aufschlage, merke ich, dass es mir zu anstrengend ist. Und allein was mir durch ein halb offenes Auge zuteil wird, reicht, mich wissen zu lassen, dass ich den Rest meiner Wahrnehmung damit nicht behelligen muss. Es ist der Anfang eines Tages, von dem ich mir ,ohne ihn überhaupt zu kennen, wünsche, dass er bereits vorüber wäre. Was weniger an ihm als vielmehr an mir selbst liegt. Sogar im halbwachen Zustand ist mir bewusst, dass das Problem mein eigener Gemütszustand  ist. Weil sich im Lauf der Nacht wieder einmal eine kleine Depression unter meine Decke geschlichen und mich halbkalt umfangen hat. In mir ist wieder einmal mehr Traurigkeit als Platz dafür. Ich kenne das bereits. Zumindest einmal im Jahr steht sie unangemeldet im Raum packt ihre Koffer aus und bleibt. Sei es Mangel an Sonnenlicht, Selbstliebe, Vitaminen oder zu viel Stress. Sie findet ihren Weg.
Sie fühlt sich an wie ein ungewollter Liebhaber, von dem man weiss, dass man, obwohl man nicht mit ihm schlafen will, doch neben ihm aufwachen wird. Womöglich sogar mehr als bloß einmal. Weil es ihn nicht schert, wenn man ihn der Wohnung verweist. Und darüber ärgert man sich. Erst einmal darüber, dass er da ist. Und dann darüber, dass man sich ärgert, dass man sich darüber ärgert. Bei mir jedenfalls ist das so. Zwei Tage später hänge ich dann in diesem Geflecht aus schlechten Gefühlen, die sich mit noch mehr schlechten Gefühlen mischen, weil ich nicht schreiben kann, Zwischenmenschliches vernachlässige und abends wieder mit jemandem im Bett liege, den ich nicht eingeladen habe.
Dieses Mal aber nehme ich mir vor, ihr anders zu begegnen. Der Depression eine andere Rolle zuzuteilen; Während ich mich in der Gewissheit aus dem Bett schäle, dass dieser Tag so oder so ihr gehört, wende ich mich ihr also zu, und frage sie, was sie zum Frühstück trinken will. Sie zögert kurz, ist jedoch gewohnt zu nehmen was sie bekommt und fordert nun, nachdem sie meinen Seelenfrieden, meine Arbeitskraft und meine Inspiration bereits vereinnahmt hat, eine heiße Schokolade. Aufgrund ihrer Maßlosigkeit tut sie dies mit Sahne. Um ihr gerecht zu werden und nicht zuletzt, weil Schokolade gegen Depressionen helfen soll, kümmere ich mich.
Als wir zusammen am Frühstückstisch sitzen und jeder an seiner Tasse nippt, sind wir zwar noch immer weit entfernt von glücklich, wirken aber zumindest schon weniger unzufrieden. Beinahe wie ein alterndes Ehepaar, das den Gedanken an Scheidung verworfen und sich miteinander arrangiert hat. Kennen tun wir uns dafür lang genug.
Aber auch das scheint mir nicht die richtige Rolle. Ich beobachte sie. Wie sie mit ihrer heißen Schokolade dort sitzt und  mich anfunkelt. Sie ist nicht wirklich hässlich. Ebenso wenig ist sie hübsch. Oder sympathisch. Irgendwie kann ich es mir - wenn ich ehrlich bin - nicht verdenken, dass ich sie weder heiraten noch neben ihr aufwachen will. Trotzdem ist sie hier.
Ein wenig bemüht lächle ich und frage - nicht ohne dass es mich einiges an Kraft und Überwindung kostet - ob ihr nicht der Sinn nach einem kleinen Spaziergang stünde. Widerwillig stimmt sie zu. Kann aber schlussendlich nicht anders, da sie ja nimmt, was sie kriegen kann.
Als wir zusammen vor die Tür treten, versäumt die Sonne zu scheinen. Mit hängendem Kopf trotten wir durch eine triste Stadt, so voll von tristem Grau, dass es von den Gehwegen bis ins Gemüt hinein wuchert. Und so lustlos neben mir her tippelt, wirkt meine Depression plötzlich wie ein ungeliebtes Kind, mit dem keiner spielen will. Und womöglich ist sie auch nichts anderes. Gespannt, was es mit ihr, mit uns machen wird, beschließe ich, mich ihr einen ganzen Tag lang zu widmen. Alles abzusagen, nur um mit ihr zu sein. Mit ihr ins Kino zu gehen, vielleicht zusammen ein Stück Kuchen zu essen, mich eingehend mit ihr zu unterhalten und ihr zuzuhören. Ihr ein wenig von dem zu geben, was ich ihr sonst so krampfhaft zu verweigern versuche. Mich. Meine Zeit, meine Aufmerksamkeit. Und vielleicht sogar ein wenig mit ihr zu lachen.
Die Idee gefällt mir. Und sie nimmt schließlich eh was sie kriegen kann.
Ich glaube, dass es hilft.
Zumindest habe ich schon wieder etwas schreiben können …