WARNUNG VOR DEM BUCHE
Kritische Betrachtung einer bibliophilen Individualsituation
Bücher.
Sie kennen das.
Diese Art, auf die sie sich hemmungslos und ohne Rücksicht auf
Regalkapazitäten vermehren. Bis man irgendwann anbauen oder in eine größere Wohnung
ziehen muss. Weil diese Biester kein Maß kennen. Und dann auch noch ihre
Freunde mit nach Haus bringen wollen. Denen man schlussendlich nur entgehen
kann, wenn man sich radikal für nichts mehr zu interessieren beschließt. Was
mir persönlich bis jetzt noch nicht gelungen ist. Manchmal interessiere ich
mich sogar versehentlich für Dinge. Über die es dann meist auch Bücher gibt. Mit
deren Hilfe man sich behutsam an das Thema heran lesen kann. An jedes Thema.
Wobei man in der Regel ungefähr vier Titel braucht, um zu erahnen, welche vier
Titel man brauchen wird, um jene vier Titel herauszufinden, mit deren Hilfe man
die Angelegenheit so weit erfasst hat, dass man zu den wirklich fundierten
Titeln übergehen kann.
Wie Erasmus von Rotterdam Anfang des 16. Jahrhunderts treffend
feststellte: "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den
Verstand."
Wenn man dann auch einen analogen Vertrauensbuchhändler hat, wird das
Ganze sogar noch fataler. Ich kenne so ein Exemplar. Und obwohl ich selbst für
manch laufenden Meter Bücher in den Regalen anfälliger Leser verantwortlich
bin, bin ich doch auch selbst nicht gefeit vor dem Stoff, den ich im wortwärtigen
Zwielicht verschachere. Wenn ich nach einer Lesung bei besagtem Buchhändler
meine Gage bekomme, holt dieser die handverlesenen Bücher hervor, die mich
seiner Meinung nach interessieren könnten. Was wiederum dazu führt, dass ich,
wenn ich seinen Laden verlasse, in der Regel nicht nur keine Gage bekomme und draufgezahlt
habe, sondern auch noch mehr zu schleppen habe als vorher. Bücher. Obwohl ich gar
keinen Platz mehr für sie habe. Weil sich dort, wo sie stehen könnten, bereits andere
ihrer Art befinden.
Schlimmer noch sind natürlich Museumsbuchhandlungen. Dort nämlich gibt
es Bücher, die auch noch gut aussehen. Und entsprechend kosten. Statistischen
Erhebungen der vergangenen Jahre zufolge ist es mir beinahe unmöglich, eine
Museumsbuchhandlung zu verlassen, ohne dort zumindest 100,00 € ausgegeben zu
haben. Für exakt die Bücher, die mir in meiner Sammlung noch gefehlt haben.
Ohne dass ich zuvor überhaupt um ihre Existenz gewusst hätte. Seltsam. Manchmal
habe ich das Gefühl, dass sie mich austricksen. Mich zu ihrem Wirt erkoren
haben. Schlauer sind als ich.
Selbst potentielle Konterstrategien beeindrucken Bücher generell nicht.
Etwa ein Partner, mit dem man Buchhandlungen künftig bloß noch gemeinsam zu betreten
und Bücher nur nach Rücksprache und mit gegenseitiger schriftlicher Genehmigung
zu kaufen beschließt. Abgesehen vielleicht von einem Autor. Einem Thema.
Einer Ausnahme. Über die man dann
vier Bücher kaufen darf, die einem den Kauf vierer Bücher erlaubt, mit deren
Hilfe man…
Wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, dass man lieber mit Büchern als mit
Menschen Umgang hat, wenn einem zwischen den Seiten mehr Lust und Sinnlichkeit
als aus dem eigenen Leben entgegenschlägt, dann ist es vermutlich zu spät. Und
nur so lässt es sich erklären, dass ich unlängst, ohne überhaupt Platz für zu
haben, aus einem Nachlass 450 Märchenbücher erworben habe. Weshalb ich mir
jetzt ein sinnvolles Projekt einfallen lassen muss, um diesen unbesonnenen Akt
im Nachhinein zu rechtfertigen. Und einmal mehr nötigen mich Bücher, mein Leben
ein wenig nach ihnen auszurichten. Weil es mir im Lauf eben jenes Lebens nicht
gelungen ist, mich für nichts zu interessieren.
„Man kann nichts von nichts sagen. Daher kann es keine Grenze für die
Zahl der Bücher geben“, wusste schon der rumänische Philosoph Emile Cioran und
ahnte als er das sagte womöglich schon, dass man mich am Ende meines Lebens aus
einer kleinen Einzimmerwohnung tragen muss, während man an meinem Schlüsselbund
die Schlüssel vierer weiterer Wohnungen findet, in denen meine Bücher
stehen.
Bücher.
Sie kennen das.
Und wenn nicht, sollten Sie das vielleicht ändern.