ODER VON DER HALBWERTZEIT DES WUTBÜRGERTUMS
Die
Geschichte ist unerbittlich. Ohne Innehalten schreitet sie voran. Ähnlich wie
der wandernde Stammtisch, Ortsgruppe Leipzig: LEGIDA. Wobei Name und Schriftzug
frappant an einen bekannten braunen Brotaufstrich erinnern. Aber genau darum
ging es wohl ursprünglich auch. Die Etablierung einer Marke. Seit
wutbürgerliche Stiefel Dresdener Asphalt polierten und PEGIDA über Sachsens
Ufer zu schwappen dräute. Was allerdings schon etwas her ist. Längst frisst die
Pegidation ihre Kinder und jene Kleinbürgerwutkanalisierer, die nibelungisch
deutsches Brauchtum im Sachsenhort zu hüten sich verschworen hatten,
zerfleischen sich nunmehr gegenseitig. Weil die einen nicht für das stehen
wofür die anderen stehen, die wiederum nicht sicher sind, wer ihnen eigentlich
vorsteht, während andere wieder nicht verstehen, wo eigentlich steht, wo genau sie
hinter stehen. Aber wie auch immer: Letztes Mal standen da mehr. Und davor noch
mehr. Und davor wiederum meinte man, dass da unter Umständen sogar 40.000
hätten stehen können. Womit wir wieder in Leipzig, Speerspitze der
Polizeitouristik und Vorreiter kreativer Teilnehmerschätzung, wären, wo die
gewaltige Legidion bei Realitätskontakt ein maßgebliches Minuswachstum aufwies.
Auch wenn geifernde Agitatoren auf dem Augustusplatz der Überzeugung waren, dass
Zehntausende Protestwillige von unfähigen Polizisten und impertinenten
Konterprotestlern vom Legidieren abgehalten würden.
Den
anwesenden abendlandbewahrenden Stammtischlern agitierte man mit erhobenem
Zeigefinger und geballter Faust freundlich zu. „Ihr seid das Volk!“ ließ man
sie lautstark wissen. Derlei Worte bestärken ungemein. Und wenn man sie auch
ebenso glaubhaft in jeder Strafvollzugsanstalt, jedem Bordell und jeder
Selbsthilfegruppe dieses Landes aussprechen könnte, so schaffen sie auf einem
Platz politisch fragmentarisch interessierter Spaziergänger doch ein außerordentliches
Gruppengefühl und eine Ahnung von Legidimation.
Besagte
Leute aber durchweg für Nazis und Idioten zu halten wäre, auch wenn es vielleicht
dem ein oder anderen Bessermenschen missfällt, nicht richtig. Obwohl von denen sicher auch welcher da
waren. Aber letzten Endes bedienen die Menschen sich mit ihrer Demonstration
eines klassischen Werkzeugs der Demokratie. Was durchaus legitim ist. Und darüber
hinaus nicht ungroßartig, wenn Gegenstimmen sich ebenso legitim erheben und
Volkes Meinung sich wirklich zeigt. Dann nämlich wird ersichtlich, was besagte
Demokratie - wo immer sie sonst auch kränkelt - vermag. Selbst wenn vereinzelt
Leute darauf bestehen, dabei Dinge anzuzünden und die Meinungen darüber, wie
viele wann wo was genau getan haben, ein wenig auseinander gehen.
Derweil
also am Rande der Veranstaltung ein paar versehentlich vermummte Rechte ein
paar Linke jagen, jagen anderswo ein paar Linke ein paar Rechte (wobei der
Ordnung halber erwähnt werden muss, dass sowohl die einen als auch die anderen
irgendwie das Volk sind). Aber schlussendlich ist das Ganze am Ende vor allem ein
exemplarisches Lehrstück der freien Meinungsäußerung.
Längerfristig
freilich auch eine Studie zur Halbwertzeit des Wutbürgertums.
Am Ende marschiert dann jeder wieder seines Weges.
Bis
auf die tollwütigen Nibelungen.
Und
35.000 Leute, die sich vor einiger Zeit vielleicht in Leipzig verlaufen haben.
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