Montag, April 16, 2018

WARNUNG VOR DEM BUCHE


WARNUNG VOR DEM BUCHE
Kritische Betrachtung einer bibliophilen Individualsituation

Bücher. 
Sie kennen das.
Diese Art, auf die sie sich hemmungslos und ohne Rücksicht auf Regalkapazitäten vermehren. Bis man irgendwann anbauen oder in eine größere Wohnung ziehen muss. Weil diese Biester kein Maß kennen. Und dann auch noch ihre Freunde mit nach Haus bringen wollen. Denen man schlussendlich nur entgehen kann, wenn man sich radikal für nichts mehr zu interessieren beschließt. Was mir persönlich bis jetzt noch nicht gelungen ist. Manchmal interessiere ich mich sogar versehentlich für Dinge. Über die es dann meist auch Bücher gibt. Mit deren Hilfe man sich behutsam an das Thema heran lesen kann. An jedes Thema. Wobei man in der Regel ungefähr vier Titel braucht, um zu erahnen, welche vier Titel man brauchen wird, um jene vier Titel herauszufinden, mit deren Hilfe man die Angelegenheit so weit erfasst hat, dass man zu den wirklich fundierten Titeln übergehen kann.
Wie Erasmus von Rotterdam Anfang des 16. Jahrhunderts treffend feststellte: "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand."
Wenn man dann auch einen analogen Vertrauensbuchhändler hat, wird das Ganze sogar noch fataler. Ich kenne so ein Exemplar. Und obwohl ich selbst für manch laufenden Meter Bücher in den Regalen anfälliger Leser verantwortlich bin, bin ich doch auch selbst nicht gefeit vor dem Stoff, den ich im wortwärtigen Zwielicht verschachere. Wenn ich nach einer Lesung bei besagtem Buchhändler meine Gage bekomme, holt dieser die handverlesenen Bücher hervor, die mich seiner Meinung nach interessieren könnten. Was wiederum dazu führt, dass ich, wenn ich seinen Laden verlasse, in der Regel nicht nur keine Gage bekomme und draufgezahlt habe, sondern auch noch mehr zu schleppen habe als vorher. Bücher. Obwohl ich gar keinen Platz mehr für sie habe. Weil sich dort, wo sie stehen könnten, bereits andere ihrer Art befinden. 
Schlimmer noch sind natürlich Museumsbuchhandlungen. Dort nämlich gibt es Bücher, die auch noch gut aussehen. Und entsprechend kosten. Statistischen Erhebungen der vergangenen Jahre zufolge ist es mir beinahe unmöglich, eine Museumsbuchhandlung zu verlassen, ohne dort zumindest 100,00 € ausgegeben zu haben. Für exakt die Bücher, die mir in meiner Sammlung noch gefehlt haben. Ohne dass ich zuvor überhaupt um ihre Existenz gewusst hätte. Seltsam. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich austricksen. Mich zu ihrem Wirt erkoren haben. Schlauer sind als ich.  
Selbst potentielle Konterstrategien beeindrucken Bücher generell nicht. Etwa ein Partner, mit dem man Buchhandlungen künftig bloß noch gemeinsam zu betreten und Bücher nur nach Rücksprache und mit gegenseitiger schriftlicher Genehmigung zu kaufen beschließt. Abgesehen vielleicht von einem Autor. Einem Thema. Einer Ausnahme. Über die man dann vier Bücher kaufen darf, die einem den Kauf vierer Bücher erlaubt, mit deren Hilfe man…
Wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, dass man lieber mit Büchern als mit Menschen Umgang hat, wenn einem zwischen den Seiten mehr Lust und Sinnlichkeit als aus dem eigenen Leben entgegenschlägt, dann ist es vermutlich zu spät. Und nur so lässt es sich erklären, dass ich unlängst, ohne überhaupt Platz für zu haben, aus einem Nachlass 450 Märchenbücher erworben habe. Weshalb ich mir jetzt ein sinnvolles Projekt einfallen lassen muss, um diesen unbesonnenen Akt im Nachhinein zu rechtfertigen. Und einmal mehr nötigen mich Bücher, mein Leben ein wenig nach ihnen auszurichten. Weil es mir im Lauf eben jenes Lebens nicht gelungen ist, mich für nichts zu interessieren.
„Man kann nichts von nichts sagen. Daher kann es keine Grenze für die Zahl der Bücher geben“, wusste schon der rumänische Philosoph Emile Cioran und ahnte als er das sagte womöglich schon, dass man mich am Ende meines Lebens aus einer kleinen Einzimmerwohnung tragen muss, während man an meinem Schlüsselbund die Schlüssel vierer weiterer Wohnungen findet, in denen meine Bücher stehen. 
Bücher. 
Sie kennen das.
Und wenn nicht, sollten Sie das vielleicht ändern. 




Sonntag, Februar 11, 2018

VERSUCH EINES DEPRESSIONSEXORZISMUS



MEHR TRAURIGKEIT ALS PLATZ DAFÜR
halbschönes Erwachen in ungewollter Gesellschaft 



Schon während ich die Augen aufschlage, merke ich, dass es mir zu anstrengend ist. Und allein was mir durch ein halb offenes Auge zuteil wird, reicht, mich wissen zu lassen, dass ich den Rest meiner Wahrnehmung damit nicht behelligen muss. Es ist der Anfang eines Tages, von dem ich mir ,ohne ihn überhaupt zu kennen, wünsche, dass er bereits vorüber wäre. Was weniger an ihm als vielmehr an mir selbst liegt. Sogar im halbwachen Zustand ist mir bewusst, dass das Problem mein eigener Gemütszustand  ist. Weil sich im Lauf der Nacht wieder einmal eine kleine Depression unter meine Decke geschlichen und mich halbkalt umfangen hat. In mir ist wieder einmal mehr Traurigkeit als Platz dafür. Ich kenne das bereits. Zumindest einmal im Jahr steht sie unangemeldet im Raum packt ihre Koffer aus und bleibt. Sei es Mangel an Sonnenlicht, Selbstliebe, Vitaminen oder zu viel Stress. Sie findet ihren Weg.
Sie fühlt sich an wie ein ungewollter Liebhaber, von dem man weiss, dass man, obwohl man nicht mit ihm schlafen will, doch neben ihm aufwachen wird. Womöglich sogar mehr als bloß einmal. Weil es ihn nicht schert, wenn man ihn der Wohnung verweist. Und darüber ärgert man sich. Erst einmal darüber, dass er da ist. Und dann darüber, dass man sich ärgert, dass man sich darüber ärgert. Bei mir jedenfalls ist das so. Zwei Tage später hänge ich dann in diesem Geflecht aus schlechten Gefühlen, die sich mit noch mehr schlechten Gefühlen mischen, weil ich nicht schreiben kann, Zwischenmenschliches vernachlässige und abends wieder mit jemandem im Bett liege, den ich nicht eingeladen habe.
Dieses Mal aber nehme ich mir vor, ihr anders zu begegnen. Der Depression eine andere Rolle zuzuteilen; Während ich mich in der Gewissheit aus dem Bett schäle, dass dieser Tag so oder so ihr gehört, wende ich mich ihr also zu, und frage sie, was sie zum Frühstück trinken will. Sie zögert kurz, ist jedoch gewohnt zu nehmen was sie bekommt und fordert nun, nachdem sie meinen Seelenfrieden, meine Arbeitskraft und meine Inspiration bereits vereinnahmt hat, eine heiße Schokolade. Aufgrund ihrer Maßlosigkeit tut sie dies mit Sahne. Um ihr gerecht zu werden und nicht zuletzt, weil Schokolade gegen Depressionen helfen soll, kümmere ich mich.
Als wir zusammen am Frühstückstisch sitzen und jeder an seiner Tasse nippt, sind wir zwar noch immer weit entfernt von glücklich, wirken aber zumindest schon weniger unzufrieden. Beinahe wie ein alterndes Ehepaar, das den Gedanken an Scheidung verworfen und sich miteinander arrangiert hat. Kennen tun wir uns dafür lang genug.
Aber auch das scheint mir nicht die richtige Rolle. Ich beobachte sie. Wie sie mit ihrer heißen Schokolade dort sitzt und  mich anfunkelt. Sie ist nicht wirklich hässlich. Ebenso wenig ist sie hübsch. Oder sympathisch. Irgendwie kann ich es mir - wenn ich ehrlich bin - nicht verdenken, dass ich sie weder heiraten noch neben ihr aufwachen will. Trotzdem ist sie hier.
Ein wenig bemüht lächle ich und frage - nicht ohne dass es mich einiges an Kraft und Überwindung kostet - ob ihr nicht der Sinn nach einem kleinen Spaziergang stünde. Widerwillig stimmt sie zu. Kann aber schlussendlich nicht anders, da sie ja nimmt, was sie kriegen kann.
Als wir zusammen vor die Tür treten, versäumt die Sonne zu scheinen. Mit hängendem Kopf trotten wir durch eine triste Stadt, so voll von tristem Grau, dass es von den Gehwegen bis ins Gemüt hinein wuchert. Und so lustlos neben mir her tippelt, wirkt meine Depression plötzlich wie ein ungeliebtes Kind, mit dem keiner spielen will. Und womöglich ist sie auch nichts anderes. Gespannt, was es mit ihr, mit uns machen wird, beschließe ich, mich ihr einen ganzen Tag lang zu widmen. Alles abzusagen, nur um mit ihr zu sein. Mit ihr ins Kino zu gehen, vielleicht zusammen ein Stück Kuchen zu essen, mich eingehend mit ihr zu unterhalten und ihr zuzuhören. Ihr ein wenig von dem zu geben, was ich ihr sonst so krampfhaft zu verweigern versuche. Mich. Meine Zeit, meine Aufmerksamkeit. Und vielleicht sogar ein wenig mit ihr zu lachen.
Die Idee gefällt mir. Und sie nimmt schließlich eh was sie kriegen kann.
Ich glaube, dass es hilft.
Zumindest habe ich schon wieder etwas schreiben können …



Donnerstag, Juni 02, 2016

VOR DER MORGENRÖTE - filmbesprechung



der heute anlaufende film zeigt anhand eindringlicher bilder das exil stefan zweigs von rio de janeiro über new york bis petropolis. die irrungen eines, unter der trennung von seiner sprache leidenden autors. eines mannes, dessen welt- und wortgewandheit, ideale und verzweiflung in 106 minuten derart intensiv deutlich werden, dass es schaudert. in üppigen szenerien zwischen natur und gesellschaftsstudie breitet der film von maria schrader die letzten lebensjahre stefan zweigs vor dem auge des zuschauers auf eine weise aus, die ebenso intim wie unvoyeuristisch ist. am ende wird werden der autor, vater, und literaturstar ebenso greifbar wie der traurige mann, der von seiner lebenskraft, der heimischen kultur und sprache getrennt zugrunde geht. das bemühen zweigs, sich unterdessen politisch von keiner seite funktionalisieren zu lassen, berührt. aussagen wie „jede widerstandsgeste, die kein risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“ oder "ich glaube, dass pässe und grenzen eines tages der vergangenheit angehören werden. ich bezweifle allerdings, dass wir das noch erleben werden." blitzen immer wieder inmitten großartiger dialoge auf und verbinden schmerzhaft vergangenheit mit gegenwart.
der titel eine remiszenz an den abschiedspbrief des protagonisten, schafft zuletzt der epilog des filmes eine ästhetisch inhaltliche auflösung, wie man sie nicht für möglich gehalten hätte.
an der spitze der durchweg famosen besetzung des films brilliert dabei der österreichische kabarettist und schauspieler joseph hader in der rolle stefan zweigs.
insgesamt ein unaufdringlich geistreicher, zutiefst menschlicher und von der magie des geistes und der literatur durchdrungener film, den manch einer, der sich eher von anderen dingen berühren lässt, jedoch gewiss als besseres bildungsfernsehen bezeichnen wird.
ich hingegen habe seit langem wieder einmal das gefühl gehabt, im kino einmal keine zeit verschwendet zu haben.





"Vor der Morgenröte"
Deutschland, Österreich, Frankreich 2016
Regie: Maria Schrader
Drehbuch: Jan Schomburg, Maria Schrader
Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz, Matthias Brandt, Charly Hübner, Lenn Kudrjawizki, Vincent Nemeth, Oscar Ortega Sanchez
Produktion: Danny Krausz, Kurt Stocker
Verleih: X-Verleih
Länge: 106 Minuten
FSK: Ab 0 Jahre
Start: 2. Juni 2016


Mittwoch, Februar 17, 2016

FLASCHENPOST AM STRASSENRAND

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FLASCHENPOST
AM STRASSENRAND
zu imaginieren als eine ebensolche, 
der man just in diesem Moment nachstehende Schrift entnimmt


Vermutlich wundern Sie sich ein wenig.
Mitten in der Stadt ist schließlich nicht der Ort, wo man gewöhnlich eine Flaschenpost findet. Ich weiß natürlich nicht wo diese hier gelandet ist, gehe aber stark davon aus, dass es eine der kläglichen Grünflächen gewesen sein muss. Sonst hätte ich es wieder einmal klirren hören. Da unten gibt es mehr Asphalt als Grün. Weshalb man dort auch nur selten eine Flaschenpost findet. Obwohl all die schimmernden Scherbenhaufen am Straßenrand vermuten lassen, dass immer mal wieder jemand eine zu schicken versucht. Wobei man kaum Briefe in den Bierlachen zwischen den Scherben findet. Sei es, weil der Absender sie zu schreiben versäumt oder der Wind sie davongetragen hat. Was das Ganze jedoch, wenn man jedes dieser traurigen Splitterhäufchen als einen gescheiterten Kontaktaufnahmeversuch betrachtet, nicht weniger tragisch macht.
Wenn Sie sich also über diese Flaschenpost wundern, tun Sie das keinesfalls zurecht. Denn die Stadt, die eigene Wohnung, irgendwo zwischen all diesen Menschen, die man erst bemerkt, wenn sie vor einem die Fahrbahn oder die Supermarktkasse blockieren, ist der beste Ort, um gestrandet, verloren und allein zu sein. Womöglich noch mit einem Partner. Gemeinsam gestrandet, verloren und allein.
Diese Gedanken kamen mir, als ich vor einiger Zeit aus meinem Fenster blickte. Und dort unten sah ich sie. Alle. Wie sie in jenem grauen Ozean dahintrieben, einer Strömung unterworfen, die jeden Tag - außer vielleicht am Wochenende – die immergleichen Muster beschreibt.
Großstadttreibgut. Den Asphaltgezeiten unterworfen. Mitgerissen. Morgens hierhin und abends zurück. Menschen, die sich wacker über Wasser halten, weil man sie das Schwimmen lehrte. Von einer einsamen Insel zur anderen. Von einem Haus, dessen Bewohner man nur vom Klingelschild kennt, an einen Arbeitsplatz, wo jeder mit jedem ersetzbar ist und von dort aus in die kleine Kneipe an der Ecke, wo Schiffbrüchige seit Menschengedenken allabendlich ihre Erfahrungen austauschen, bevor jeder auf sein eigenes einsames Eiland zurückkehrt.
Und während ich dort hinuntersah, entsann ich mich der Gespräche, die ich hundert Mal geführt hatte. Der Zeiten, die ich, nur um nicht allein zu sein, mit irgend jemandem unterwegs gewesen war. Der Kinoabende mit Filmen, an die ich mich tags darauf nicht mehr erinnerte und jener wilden Nächte, in denen ich mich auf fremde Inseln verirrte und die schließlich weder etwas bedeuteten noch etwas änderten. All jener Dinge eben, wie unwissend Gestrandete sie unternehmen, um sich über ihr Schicksal hinwegzutäuschen. In der irrigen Annahme, dass es sie weniger weniger schiffbrüchig macht, wenn sie in der Lage sind, mal eben in den Supermarkt, ins Kino oder das Stadion hinüberzuschwimmen.
Unsere einsamen Inseln vermögen wir dabei freilich recht angenehm zu gestalten. Die einen von uns landen auf grösseren, die nächsten auf kleineren. Aber so lange es dort Strom, Wasser, Fern- sehen und W-Lan gibt, wird kaum einer sich beschweren, wenn er morgens mit dem Strom schwimmen muss, um abends wieder am heimischen Strand angeschwemmt zu werden.
Wahrscheinlich wundern Sie sich noch immer.
Weshalb ich diese Nachricht überhaupt schreibe. Ohne zu wissen, wen sie erreicht oder ob sie nicht womöglich doch als schillernder Scherbenhaufen zwischen den Gestaden endet.
Ich will es Ihnen verraten: Weil ich damals am Fenster stehen blieb. Die Flut kommen und gehen sah. Wieder und wieder.
Weil ich zu den fremden Appartmentinseln meiner Nachbarn hinüberblinzelte, wo all die Namen von den Klingelschildern sich duschten, rasierten, verschliefen oder zu lieben versuchten. Ich beobachtete sie, wie sie dort vor ihren Flachbildschirmen, Tablet-Computern, neben ihresgleichen oder hinter ihrer Zeitung saßen und sich verbissen zu vergnügen versuchten.
Und in jedem von ihnen erkannte ich mich selbst.
Im Haus gegenüber gibt es diesen kleinen dicken Jungen mit seiner XBox, dem seine Mutter, damit er nicht verhungert, jeden Tag eine Juniortüte ins Zimmer wirft. Ich hab ihn noch nie mit anderen Kindern spielen sehen. Vielleicht sollte ich ihn entführen und ihm die Regeln der Zivilisation nahebringen. So, wie Robinson Crusoe es einst mit seinem Kannibalen getan hat ...
Aber solche Gedanken kommen einem wohl, wenn man zu lange aus dem Fenster sieht.
Vielleicht sollte ich Ihnen zunächst einmal etwas über mich erzählen: Ich komme aus der Werbung. Meine Aufgabe ist es, Ihnen Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen. Aber das wird mit jedem Tag schwerer. Denn die Konkurrenz wächst. Ganz zu schweigen vom Angebot. Und natürlich der Tatsache, dass heutzutage jeder Eskimo längst auch schon einen zweiten Kühlschrank besitzt.
“Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.” fiel übrigens - der kläglichen Produktpalette des antiken Griechenlands zum Trotz - bereits dem alten Sokrates auf. Obwohl er vemutlich nicht mal diese Schublade voller Kabel besaß, von denen er nicht mehr wusste, wofür sie überhaupt da waren. Oder jene andere mit Gebrauchsanweisungen von Geräten, die er längst nicht mehr besaß.
Aber ich habe meine Arbeit als Texter gut gemacht. So gut, dass Sie sich vielleicht sogar an meinen wohl bekanntesten Slogan erinnern, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit über motivierten Fußballmannschaften, glücklichen Familien, erfolgreichen Brokern und kauzigen Individualisten auf überdimensionierten Plakaten prangte: ”Woran glaubst du?”. Eine landesweite Kampagne für irgend eine Bank, die am Ende gerettet werden musste. Werbung für Geld, wobei niemanden je die Antwort auf die Frage interessiert hat.
Mit dem richtigen Slogan lassen sich heutzutage Ohrringe für Hunde, kosher Bacon und Talismane gegen Aberglauben verkaufen. Mit diesem haben wir absurderweise Geld verkauft. Und ich habe genug damit verdient, dass die Wohnung in der ich gestrandet bin, mir inzwischen gehört und mein Flatscreen wahrscheinlich größer als Ihrer ist. Das Schlimme ist, dass es keine Rolle spielt. Dass es kein Problem wäre, mir einen größeren noch zuzulegen, sobald es mir gelingt, irgend einem Eskimo noch einen dritten Kühlschrank zu verkaufen. Dass irgend jemand es sowieso versuchen und es ihm vermutlich sogar gelingen wird.
Das Ganze ist eine Art Wettlauf, bei dem es um Mode, Prestige, digitalen Schnick-Schnack und noch einiges mehr geht. Mal liegt man vorn, mal fällt man zurück. Entweder man ist beeindruckt oder man will beeindrucken und bemerkt inmitten all des Überholens und Überholtwerdens nicht, was dieses Rennen um Gigabyte, PS, Megapixel und Körbchengrößen so absurd macht: nämlich, dass es keine Ziellinie gibt ...
Nachdem ich länger dort rausgeschaut hatte, habe ich mich übrigens wirklich gefragt, woran ich glaube. Zunächst habe ich es mit den üblichen Antworten versucht. Zum Beispiel mit Familie, die ich der Karriere wegen nie gehabt habe. Und dann eben mit jener Karriere, wie sie ein jüngerer, besserer oder günstigerer Texter jederzeit ins Trudeln bringen kann. Ich habe mich sogar gefragt, ob ich an mich glaube, was mir zwar durchaus legitim, aber im kosmischen Zusammenhang doch eher belanglos schien. Inzwischen kann ich jedenfalls beängstigend vieles benennen, an das ich nicht mehr glaube.
Ich habe wirklich lange nachgedacht. Auf Papier. Wort für Wort. Seit ich mich hier auf meiner Insel verschanzt habe, werfe ich jeden Tag eine Flaschenpost vom Balkon und hoffe, dass sie den Asphalt verfehlt und irgendwo ankommt.
Schlussendlich hat es fast fünfzig Briefe in Flaschen an Fremde gebraucht, bis ich eine Antwort fand: ich glaube an nicht mehr als eine Sache. Etwas, das sich aus allem was ich je erlebt, gesehen und verstanden habe, ergibt: Aus Krieg und Frieden, dem dicken Jungen mit seiner XBox, meinem Flatscreen und ihrem Tablet-Computer. Denn all diesen Dingen liegt ein einziger Umstand zugrunde: Die Fähigkeit des Menschen, Dingen Bedeutung zu geben. Frei wählen zu können, was er für bedeutsam erachtet. Und im Gegenzug auch, was nicht. Dann gibt es da freilich noch jene Dinge, von denen andere wünschen, dass man ihnen Bedeutung gibt. Da sind Freunde oder Partner, die gern Bedeutung hätten, oder auch die Werbung, die uns geradezu anbettelt, beutellosen Staubsaugern, parfümierten Müllbeuteln oder was auch immer einen Platz in unserem Leben zu geben. Und zuletzt gibt es noch jene Ereignisse, die vermeintlich so bedeutungsvoll sind, dass sie uns völlig aus der Bahn werfen können. Zumindest wenn wir es zulassen. Denn obwohl wir ohne Zweifel ausnahmslos alle sterben werden, ist es doch an uns, unserem Leben eine größere Bedeutung als unserem Tod zu geben ...
Vor diesem Hintergrund habe ich begonnen, meine Aufmerksamkeit anders zu verteilen. Sie gewissen Dingen, die mir vor fünfzig Flaschen noch vollkommen notwendig schienen, sogar ganz zu entziehen.
Ich achte nicht mehr auf Likes und poste diesen Status - auch auf die Gefahr hin, dass niemand ihn liest - direkt auf die Straße. Denn ich glaube daran, dass Menschen Dingen Bedeutung geben können. Und das ist vielleicht sogar alles, was sie können. Mehr aber braucht es auch nicht.
Sie wundern sich womöglich noch immer.
Und mir ist natürlich bewusst, dass ich keine Ahnung von Ihrem Leben habe, nicht weiß, wer Sie sind, was Ihnen wichtig ist oder womit Sie zu kämpfen haben. Ich kenne Sie nicht und kann Ihnen wahrscheinlich auch keine sinnvollen Ratschläge erteilen.
Aber ich möchte Sie dennoch um eines bitten, egal wo und auf welcher Art von Insel Sie auch gestrandet sein mögen:
Geben Sie Dingen Bedeutung.
Damit nicht andere es für Sie tun.

Schiffbrüchigst 
und mit den besten Wünschen,
A.
 
 
 
 


Sonntag, Februar 14, 2016

VOM PHÄNOMEN DER ENTANTWORTUNG


VOM PHÄNOMEN DER ENTANTWORTUNG

eine allgemeine Betrachtung zum Auslöffeln der Suppe im großen Stil




Jeder, der unvorsichtig genug war, eine Frage zu seinem Mobilfunktarifes lieber telefonisch klären zu wollen statt ihn im ehrlichen Faustkampf mit seinem persönlichen Berater auszufechten, kennt ihn: Jenen semitautomatisierten Kommunikationsspießrutenlauf zwischen Spracherkennung, Musikkonserve und einem bedingt motiviertem aber um Freundlichkeit bemühten Mitarbeiter. (Wobei letztere einen mitunter sogar kontaktieren, ohne dass man eine Frage hätte. Nur um die Vorteile neuer Tarife zu propagieren oder einen in die Niederungen der repräsentativen Umfragehölle zu locken. In dem einen wie dem anderen Fall kann der Endverbraucher davon ausgehen, am anderen Ende der Leitung, jemanden vorzufinden, der nicht verantwortlich ist. Weder im Hinblick auf den Mobilfunktarif noch irgend etwas anderes, das zu diesem Zeitpunkt mit jener Person geklärt werden könnte. Sie bildet in ihrem Callcenter am Ende der Welt vielmehr einen natürlichen Schutzwall zwischen den Verantwortlichen und dem zu Verantwortenden. Die persönliche Verantwortung des Callcentermitarbeiters ist hinsichtlich des Problems tatsächlich so weit verdünnt, dass sie allenfalls noch in homöopathischer Dosierung vorhanden ist.

Ein Phänomen, das seinen Weg in unsere Gesellschaft gefunden und sich derart verselbstverständlicht hat, dass die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen sich dieser Tage mitunter leichter als ein Verantwortlicher findet. Dem Ganzen liegt das Prinzip der Entantwortung zugrunde, deren Inhalt Schaffung einer größtmöglichen Entfernung zwischen Verantwortung und Verantwortlichem mit allen zur Verfügung stehendenden Mitteln von Hierarchie bis Bürokratie ist.

Besagter Entantwortung wohnte freilich, wäre sie ein ledigliches Callcenterproblem und erstreckte sie sich lediglich auf die unsachgemäße Handhabung von Irgendwas, ein gewisser Unterhaltungswert inne. Den hat sie auch bei der Deutschen Bahn, Zugreisende durch Verschweigen etwaiger Verspätungen in demaiziérscher Manier nicht zu verunsichern trachtet und für alle schließlich doch auftretenden Probleme und sich entladende Aggression lediglich den Fahrkartenkontrolleur sowie eine nicht ganz ernst zu nehmende Entschädigungsregelung zur Verfügung stellt.

Ähnlich verhält es sich auf dem nächsthöheren Level im Unglücks- oder Katastrophenfall, der sich im entantwortlichen Sinne durch Entlassung eines Vorstands mit vollen Bezügen, kaum nennenswerte Zahlungen und entsprechende mediale Ausrichtung der öffentlichen Aufmerksamkeit aus der Welt schaffen lässt. Ganz im Sinne von Ambrose Bierce, der die Aktiengesellschaft bereits in seinem satirischen Wörterbuch des Teufels als eine raffinierte Einrichtung zur persönlichen Bereicherung ohne persönliche Verantwortung definierte.

Womit natürlich noch nicht einmal die politische Ebene angerissen wäre, in deren Rahmen ja nicht nur Krieg, Korruption und einiges mehr entantwortet werden muss, sondern jeder der seinen Hut nehmen muss auch noch eine Hand für den Geldkoffer frei und gegebenenfalls auch noch einen Sündenbock im Aktenschrank hat.

Die Vielfalt der Entantwortungsmechanismen ist immens und sie prägen uns alle. Heutzutage scheint niemand mehr für etwas geradezustehen, was er einem anderen in die Schuhe schieben kann. Oder um es mit dem alten Bismarck zu sagen: „Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit.“

Selbst die Tatsache, dass man in vielen Fällen zumindest noch nach dem Geschäftsführer rufen kann, täuscht nicht darüber hinweg, dass dieser Tage kaum noch jemand aufsteht und öffentlich sagt: Ich war’s. hab’s verbockt.

Genauer betrachtet, leben wir in einer Gesellschaft, in der Verantwortung vor allem für Anschläge und überwiegend von Terroristen übernommen wird.

Was ich persönlich ein wenig irritierend finde.

Mittwoch, November 18, 2015

LA NOUVELLE TERREUR

LA NOUVELLE TERREUR
 
ich habe lange gezögert, in jenes emotional aufgeladene attitüdengewitter aus trauer, zorn, angst und verzweiflung hineinzuposten, dessen auswüchse ich auf verschiedenen ebenen für befremdlich erachte.
 
ich bin allerdings zu dem schluss gekommen, dass gegenwärtig im schatten von ereignissen wie jenen von paris, vor allem künstler, dichter, denker und philosophen, im günstigsten falle freidenkende, nicht im dienst einer bestimmten ideologie, religion oder partei stehende menschen, jenseits von populistischen meinungen in der pflicht stehen, sich zu äußern. dabei geht es weniger um ein image, dass man als vertreter besagter gruppen in der öffentlichkeit hat, sondern vielmehr darum, dass man über die möglichkeit verfügt, menschen zu erreichen. ein privileg, wie es nicht zuletzt politischen oder religiösen führern zueigen ist, denen es jedoch per definitionem an verschiedenen oben erwähnten attributen mangelt.
dementsprechend versuche ich nun, meinen gedanken zu den vielschichtigen entwicklungen der gegenwart zum ausdruck zu bringen. in einem text, der im gegensatz zu meinem sonstigen bestreben weder unterhaltsam, noch zynisch, kurz oder gefällig ist, der niemanden beleidigt, verurteilt und nichts fordert, mir aber gegenwärtig aus dem herzen spricht:
 
wir leben in einer zeit, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass menschen andere menschen gleichsam für politische, religiöse, moralische oder kapitalistische ziele benutzen.
zugleich neigt besagte welt derart zu vereinfachungen und verallgemeinerungen, dass nicht zuletzt ganze gruppen von menschen benutzt werden, um mit ihnen alles mögliche zu rechtfertigen.
diese haltung zeichnet sich vor allem durch mangel an respekt und empathie gegenüber dem menschlichen individuum aus. ein mangel, der nicht selten, im großen wie im kleinen, auch unseren umgang miteinander prägt. vor allem, wenn wieder einmal jemand weiss, was richtig oder falsch ist, wie wer sich wann zu verhalten hat oder wer die bösen sind.
zu ändern vermögen derlei weder attentate noch bombenangriffe, nicht profilbilder noch beschimpfungen, sondern lediglich gesunder menschenverstand und mündige menschen.
das eine zu erlangen und das andere zu werden ist meines erachtens eines der höchsten erdenklichen ziele für das wir alle einen verschieden langen weg zurückzulegen haben.
doch die bereitschaft, sich auf diesem weg begegnen, wahrnehmen und austauschen zu wollen, wäre eine erfahrung, die gleichsam jeden von uns zu einem besseren menschen und die welt zu einem besseren ort zu machen vermöchte.

Dienstag, Oktober 20, 2015

THE LAST WHAT?

THE LAST WHAT?
Vin Diesel goes witchhunting


‚The last Witchhunter’, Vin Diesel, auf der Jagd nach übersinnlich agierenden Wesenheiten zwischen den Zeiten. Eine treffliche Gelegenheit, einmal der Hässlichkeit der Gegenwart zu entfliehen, möchte man meinen.
Das Ganze beginnt (womöglich nicht zuletzt den Erfolgen gewisser Serien geschuldet) mit einem flechtzopfigen und wild bebarteten VIkiNg Diesel: Kaulder, der mit Hilfe einiger Hexenjägerkollegen vor 800 Jahren in einem von ‚der 13. Krieger‘ übrig gebliebenen Set eine Hexe zerlegt. DIE Hexe. Hexenkönigin und so, die so wichtig und bedeutsam ist, dass auf ihre Rolle weder jetzt noch später im Film ernsthaft eingegangen werden muss.
Dieselchen besiegt sie, wird im Gegenzug jedoch verflucht und ist fortan unsterblich. So viel zum Setup.
Hernach flugs in die Gegenwart, wo Kaulder Mitglied der Bruderschaft ‚Axt und Kreuz‘ und noch immer unsterblich ist und dem Zuschauer einfühlsamer Hexenverstehen verkauft wird, der jene die er jagt, nicht über einen Kamm schert, geschweige denn richtet.
Mit allerhand Brimborium wird die Hexenwelt der Gegenwart mit ihren Regeln, Gesetzen und Abgründen offenbart, wobei jeder, der sich für diese Art von Filmen ähnliches in Filmen wie ‚Constantine‘ oder ‚Hellboy’ schon besser gesehen hat.
Interessante Ideen wie etwa Kaulders persönliche Chronisten, die ‚Dolans’, deren 36. Michael Caine und 37. Elijah Wood verkörpern dürfen, sind immer wieder zu erkennen, bekommen jedoch weit weniger Aufmerksamkeit als halbherzige Action und die obligatorische Spezialeffekthascherei.
Da Tragik und Bedeutung einer vermeintlichen Unsterblichkeit mit einem einzigen Gesichtsausdruck schwer rüberzubringen ist, rückt beides ebenfalls in den Hintergrund, so dass am Ende eine Geschichte steht, die nicht wirklich verzaubert, teilweise mehr unsinnig als übersinnlich wirkt und dabei nichts zu bieten hat, dass man nicht irgendwie schon kennen würde.
Wobei selbst die zweifelhafte Besetzung des Protagonisten nicht wirklich neu ist und deutlich an Arnold Schwarzenegger in ‚End of Days’ erinnert.
Ein wortkarger zynischer Hüne ohne Mimik mag in einem Film wie ‚Riddick‘ grandios funktionieren, hier nicht.
Und obwohl zwei interessante Wendungen innerhalb der Geschichte mich redlich erfreut haben, komme ich doch allmählich zu dem Schluss, dass ich eine masochistische Veranlagung haben muss. Anders lässt es sich vermutlich nicht erklären, dass solche Filme mich immer wieder neugierig machen. Selbst wenn sie wirken als ob Keanu Reeves keine Zeit für Constantine 2 gehabt und Vin Diesel vielleicht doch besser eine Wrestling Karriere angestrebt hätte, während Kaulder offensichtlich 800 Jahre lang keine Zeit gefunden hat, sein Abitur zu machen.

Was immer aber auch in diesem Film geschehen ist; ich habe Vin Diesel mit Haaren gesehen.

Und das kann mir keiner nehmen.