Mittwoch, Februar 18, 2015

JA, WO LAUFEN SIE DENN

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ODER VON DER HALBWERTZEIT DES WUTBÜRGERTUMS


Die Geschichte ist unerbittlich. Ohne Innehalten schreitet sie voran. Ähnlich wie der wandernde Stammtisch, Ortsgruppe Leipzig: LEGIDA. Wobei Name und Schriftzug frappant an einen bekannten braunen Brotaufstrich erinnern. Aber genau darum ging es wohl ursprünglich auch. Die Etablierung einer Marke. Seit wutbürgerliche Stiefel Dresdener Asphalt polierten und PEGIDA über Sachsens Ufer zu schwappen dräute. Was allerdings schon etwas her ist. Längst frisst die Pegidation ihre Kinder und jene Kleinbürgerwutkanalisierer, die nibelungisch deutsches Brauchtum im Sachsenhort zu hüten sich verschworen hatten, zerfleischen sich nunmehr gegenseitig. Weil die einen nicht für das stehen wofür die anderen stehen, die wiederum nicht sicher sind, wer ihnen eigentlich vorsteht, während andere wieder nicht verstehen, wo eigentlich steht, wo genau sie hinter stehen. Aber wie auch immer: Letztes Mal standen da mehr. Und davor noch mehr. Und davor wiederum meinte man, dass da unter Umständen sogar 40.000 hätten stehen können. Womit wir wieder in Leipzig, Speerspitze der Polizeitouristik und Vorreiter kreativer Teilnehmerschätzung, wären, wo die gewaltige Legidion bei Realitätskontakt ein maßgebliches Minuswachstum aufwies. Auch wenn geifernde Agitatoren auf dem Augustusplatz der Überzeugung waren, dass Zehntausende Protestwillige von unfähigen Polizisten und impertinenten Konterprotestlern vom Legidieren abgehalten würden.
Den anwesenden abendlandbewahrenden Stammtischlern agitierte man mit erhobenem Zeigefinger und geballter Faust freundlich zu. „Ihr seid das Volk!“ ließ man sie lautstark wissen. Derlei Worte bestärken ungemein. Und wenn man sie auch ebenso glaubhaft in jeder Strafvollzugsanstalt, jedem Bordell und jeder Selbsthilfegruppe dieses Landes aussprechen könnte, so schaffen sie auf einem Platz politisch fragmentarisch interessierter Spaziergänger doch ein außerordentliches Gruppengefühl und eine Ahnung von Legidimation.
Besagte Leute aber durchweg für Nazis und Idioten zu halten wäre, auch wenn es vielleicht dem ein oder anderen Bessermenschen missfällt, nicht richtig.  Obwohl von denen sicher auch welcher da waren. Aber letzten Endes bedienen die Menschen sich mit ihrer Demonstration eines klassischen Werkzeugs der Demokratie. Was durchaus legitim ist. Und darüber hinaus nicht ungroßartig, wenn Gegenstimmen sich ebenso legitim erheben und Volkes Meinung sich wirklich zeigt. Dann nämlich wird ersichtlich, was besagte Demokratie - wo immer sie sonst auch kränkelt - vermag. Selbst wenn vereinzelt Leute darauf bestehen, dabei Dinge anzuzünden und die Meinungen darüber, wie viele wann wo was genau getan haben, ein wenig auseinander gehen.
Derweil also am Rande der Veranstaltung ein paar versehentlich vermummte Rechte ein paar Linke jagen, jagen anderswo ein paar Linke ein paar Rechte (wobei der Ordnung halber erwähnt werden muss, dass sowohl die einen als auch die anderen irgendwie das Volk sind). Aber schlussendlich ist das Ganze am Ende vor allem ein exemplarisches Lehrstück der freien Meinungsäußerung.
Längerfristig freilich auch eine Studie zur Halbwertzeit des Wutbürgertums.
Am Ende marschiert dann jeder wieder seines Weges.
Bis auf die tollwütigen Nibelungen.
Und 35.000 Leute, die sich vor einiger Zeit vielleicht in Leipzig verlaufen haben.