Sonntag, Oktober 03, 2010

KRIEG FÜR DIE WELT

Die Zukunft der Konfliktästhetik

Mit Bedauern sehen Staatsoberhäupter sich gegenwärtig gleichsam in weitgehend demokratischen wie auch in weniger demokratischen als auch in alles andere als demokratischen Ländern innerhalb der Bevölkerung mit wachsendem Unmut gegenüber bedingt notwendigen militärischen Konflikten konfrontiert.
Der Grund dafür ist der wachsende Anspruch des Publikums. Die Inszenierung eindrucksvoller Spektakel innerhalb des Kriegsgenres ist dieser Tage weit weniger einfach als etwa noch im 20. Jahrhundert.
Die Militär PR ist überfordert. Traditionelle Verbreitung von Unwahrheiten über angreifenswerte Staaten scheint nicht mehr auszureichen. Das beeindruckende Werbematerial, das Kinderfresser, Thronfolgermörder, Giftwaffenbesitzer, Atombombenbauer und Radiosenderüberfaller zeigt und die Notwendigkeit eines Krieges mit kleinbürgerlich moralischem Nachdruck unterstreicht, erreicht den Konsumenten nur noch bedingt.
Dieser Tage, da in einigen Regionen der Krieg so dauerhaft wie der ursprünglich versprochene Frieden ist, und man seine Truppen des positiven Effektes wegen einfach mehrmals aus Kriegsgebieten abzieht, ist das Publikum beinahe ebenso kriegsmüde wie politikverdrossen.

Wie aber lässt sich in einer Zeit sich auflösender klassischer Feindbildstrukturen, in der westliche Machthaber sich verzweifelt an kleinwüchsige koreanische Usurpatoren und nahöstliche Restweltbedroher klammern, die rückhaltlose Zustimmung der Bevölkerung für einen bewaffneten Konflikt erlangen?
Um diese Frage zu beantworten, hat die Gemeinschaft moralisch grundsätzlich und ohne Zweifel im Recht befindlicher Staaten einen internationalen Fond gebildet, aus dem hochrangige Werbefachleute, Psychologen und Designer bezahlt werden, um ein ansprechenderes Kriegsbild zu generieren.
Ziel dieser Gruppe von Koryphäen ist die Reästhetisierung des Kriegsgedankens innerhalb der Bevölkerung. Eine große Aufgabe. Verpackung und Inhalt des Produktes müssen dem 21. Jahrhundert angepasst und eine komplett neue Verkaufsstrategie entwickelt werden.
Das Produkt muss dem Endverbraucher so schmackhaft gemacht werden, dass, wenn er im Regal 250g Krieg zwischen zwei Mal 500g Frieden sieht, selbst wenn dieser etwas teurer ist, ohne nachzudenken den Krieg wählt. Dafür aber muss er nicht nur ansprechender als der Frieden wirken, sondern auch darüber hinaus attraktiv wirken. Bedeutet nämlich drei Mal JA zum Krieg eine Gratistankfüllung oder ein Wochenende in Disneyland, dann verändert sich auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber der militärischen Intervention.
Die Arbeitsgruppe Konfliktästhetik hat allerdings auch in Erwägung gezogen, das Publikum mit der Wahrheit über anstehende Konflikte zu konfrontieren.
Slogans wie ‚Wir wollen Euer Öl‘, ‚Wir wollen euren Herrscher stürzen, um an seiner Stelle einen einzusetzen der tut was wir sagen‘ oder ‚unsere Armee kostet so viel, die müssen auch mal was tun‘ erwiesen sich jedoch als schwer verkäuflich.
Seit eh und je hüllt der gemeine Kriegsbefürworter sich gern in das wärmende Mäntelchen der Moral. Aus diesem Grund wird auch das alte Gleichnis „Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn einen Tag. Gib ihm eine Angel und du ernährst ihn sein ganzes Leben. Gib ihm ein Gewehr, und er kann sich überlegen, ob er seinem Nachbarn den Fisch oder die Angel wegnimmt.“ In der Regel um den letzten Teil gekürzt.
Auch der gezielte Gebrauch von Euphemismen wie kriegsähnlicher Zustand hielt schlussendlich nicht was er versprach. Hierdurch vom klassischen Krieg beinahe völlig entfremdet, zeigte die Öffentlichkeit sich plötzlich verwundert, dass im Rahmen solcher Konflikte tatsächlich Soldaten versterben und kriegsähnliche Zustände zu tötungsähnlichen Vorfällen führen.

Aus diesen Gründen hat sich die Arbeitsgruppe Konfliktästhetik zugunsten der Repopulasierung des militärischen Konfliktes zu einer radikalen Kehrtwende entschlossen.
Die Militärkonfliktbefürworterpsychologie des 21. Jahrhunderts entfernt sich von der klassischen Kriegstreiberpolemik. Stattdessen wendet sie sich auf höherer Ebene dem Wohl des Planeten und der gesamten Menschheit zu. Und dieses wird in Zukunft nicht mehr länger durch Niederringen eines Schurkenstaates samt dazugehörigem Chefschurken erreicht, sondern auf einer völlig entpersonalisierten Ebene. Hierdurch werden - zur Begeisterung der Auftraggeber - Gegenstand und Ziel eines Krieges vollkommen austauschbar.
Wichtig ist in diesem neuen Kontext lediglich, dass Krieg geführt wird. Zum Wohle aller und natürlich der Welt.

Was kann man sich besseres Wünschen als einen Krieg, der die Welt heilt?

Hierfür sind zunächst freilich einige sinnreiche Neuerungen vonnöten: Das generelle Verbot von Streu und Splitterbomben wird eingeschränkt und gilt fortan nicht mehr für Sprengkörper, die mit Samenkapseln und Mutterboden bestückt sind. Die auszubringenden Samen müssen der natürlichen Fauna der Kriegsregion angepasst und mit schnellwachsenden Pflanzen bestückt sein, um einen Bombenkrater innerhalb einer Woche zu einem fruchtbaren Biotop zu machen. In diesem kann dann die nachfolgende Infanterie auf ihrem Durchmarsch bedrohte Kleintiere auswildern.
Darüber hinaus wird jedem Soldat künftig im Zuge des Nahkampftrainings eine Gartenbauausbildung zuteil. In seiner Grundausrüstung wird er fortan außerdem neben Faltgießkanne und Pflanzendünger eine Heckenschere mit sich führen.
Im Vordergund steht in Zukunft weniger der kriegerische Konflikt selbst als vielmehr die nachhaltige Begrünung des dazugehörigen Schauplatzes.
Es geht um nichts weniger Kolateralschadenbegrünung.
Aufforsten statt abschlachten.
Außerdem erfolgt, während Langstreckenraketen auf Rapsöl umgestellt werden, eine Umrüstung von Kampfjets und Panzern auf Biodiesel. Desweiteren werden Fertigung und Verkauf von Waffen künftig unter Fairtrade Bedingungen in Drittweltfabriken abgewickelt, während die zuständigen Stellen eine ozonlochfreundliche Waffentechnologie entwickeln, deren Abfeuern das Klima stabilisiert.
Obwohl diese Pläne bereits umgesetzt werden, konzentriert die Arbeitsgruppe sich gegenwärtig zunächst noch darauf, festsitzende negative Kriegsassoziationen innerhalb der Bevölkerung auszumerzen.
Diese werden beispielsweise durch realistische Kriegsdarstellungen ausgelöst, wie sie sich im Zeitalter alternativer Medien bedauerlicherweise nicht verhindern lassen. Meldungen über zivile Opfer, wie sie sich bei längeren Konflikten unangenehm häufen können, verunsichern den wankelmütigen Kriegsbefürworter. Aber auch hier bieten die Konfliktästheten im Sinne des neuen Konzeptes eine Lösung: in Zukunft übernimmt der verantwortliche Soldat für jeden von ihm verursachten Tod eines Zivilisten die Patenschaft für ein vom Aussterben bedrohtes Tier.
Und beim Anblick blühender Schlachtfelder, bewaffneter Landschaftsgärtner und allerlei glücklicher einstmals fast ausgestorbener Tiere wird die Weltöffentlichkeit bald erkennen, dass die Natur sich mit jedem Krieg mehr erholt und dementsprechend zum Wohle der Menschheit mehr davon fordern.
Denn wer in eine Wüste einfällt um wenig später blühende Landschaften zu hinterlassen, dem ist der Naturschutznobelpreis beinahe gewiss.

Die Arbeitsgruppe Konfliktästhetik ist jeden Cent wert gewesen. Sie hat dem Krieg eine rosige Zukunft beschert, die den vernünftigen Bürger guten Gewissens JA sagen lässt.
Denn Bio ist besser. Rette die Wale, stoppe die Klimakatastrophe, schließe das Ozonloch, beende das Waldsterben, sag JA zum Krieg!

Und wenn es dann zum Wohle aller und der Welt am Ende heißt: KRIEG - 100% Bio, dann führt die Welt ihn gerne.
Wo auch immer.
Und dann darf es auch ruhig etwas teurer sein…

©christian von aster