Dienstag, Oktober 13, 2009

ein neues Kapitel in großen Buch gepflegter Unverschämtheit


NEULICH IM SPEISEWAGEN


Ich fahre regelmäßig Bahn und bin dementsprechend traumatisiert.
Denn auf jeder Fahrt werden neuerliche Abgründe offenbar. Heute beispielsweise habe ich feststellen dürfen, dass ich für meine ursprünglich 50 Euro teure Fahrkarte im Stornierungsfall mit Glück mal gerade 10 Euro zurückbekäme. Mir würden also – wenn ich beispielsweise spontan mal Lust haben sollte mir ein Bein oder so etwas zu brechen - bei der Bahn erhebliche finanzielle Nachteile daraus erwachsen.
Ergo fühle ich mich in meiner persönlichen Freiheit ein wenig eingeschränkt und werde in nächster Zeit wahrscheinlich zunächst einmal Abstand davon nehmen, mir ein Bein zu brechen. Besonders nicht wenn ich einen Fahrschein besitze.
Zu meinem finanziellen Nachteil gereichen aber auch ohnedies schon die Preise im Speisewagen, dieser unwirklichen Zwischenwelt, wo die Inflation immer 20 Jahre weiter als im Rest der Welt vorangeschritten ist. Es ist vielleicht drei Zugfahrten her, da bestellte ich in dieser Twilightzone tatsächlich einmal etwas dass mich zufrieden stimmte: einen Thunfischsalat. Sicher, er war durchaus mit dem bahnimanenten Stigma des Wuchers besetzt, aber dabei lecker und üppig. Auf der nächsten Fahrt dann hatte das Produkt zwar nicht an besagtem Stigma, wohl aber an Geschmack und Üppigkeit eingebüßt. Mein verwirrter Blick fand vielleicht die Hälfte des ursprünglich dargereichten Tieres zwischen den Salatblättern. Zunächst fragte ich mich freilich, ob es denn hier keine Richtlinien, Portionierungsvorrichtungen oder etwas derartiges gäbe, da es sich ja hier letztenendes doch um keine geringere als die deutsche Bahn handelte.
Mit leichtem Missmut verzehrte ich kurz darauf Thunfisch und Salat und dachte dabei damals schon: Vielleicht darf der freundliche Bahnbedienstete (oder in diesem Fall zumindest der Bahnbedienstete) am Ende seines Arbeitstages die Reste mit nachhause nehmen. Und vielleicht hat er ja vier Kinder die er durchbringen muss und spart darum hier ein wenig Thunfisch, da ein wenig Butter und dort ein altes Brötchen. Kann ja sein.
Dennoch hegte ich die leise Hoffnung, dass die Familie des nächsten Kellners kleiner und der nächste Salat wieder größer wäre.
Aber weit gefehlt. Die Bahn nämlich fährt ihre Kurse konsequent: in gleichem Maß wie Serviceangebot und Haltestellen schrumpft hier auch der Thunfischsalat. Genaugenommen hatte ich beim Anblick des letzten Tellers das Gefühl, als ob Thunfisch hier allenfalls in homöopathischen Dosen verabreicht wurde. In diesem Falle war das karge bisschen Fisch jedoch von einer versierten Fachkraft durch einige taktisch angerichtete Gurkenscheiben so verborgen worden, dass diese den unbedarften Betrachter durchaus hätten vermuten lassen können, dass sich darunter noch ein gewisses Maß an Fisch befände. Misstrauisch lüpfte ich die Gurkenscheiben... um daraufhin verstört in die trostlose Leere des Blattsalates zu starren.
Als der Kellner mich unvorsichtigerweise noch einmal passierte, wollte ich ihm eine Chance geben: Ich sprang auf, musterte ihn scharf und fragte ihn in ernstem Ton:
„Haben Sie Kinder?“
Sein Verneinen machte meine erste Theorie zunichte. Was aber konnte dann der Grund für diesen bizarren fortschreitenden Schwund sein?
Fortgeschrittene Fischverdunstung?
Oder ein Streik des Thunfischs an sich?
Und obwohl die Bahn wieder einmal plant, ihre Preise zu erhöhen, schloss ich schnöde Profitsucht als Ursache noch immer aus.
Ich atmete also meinen Thunfisch ein und fragte mich dabei doch, wofür eine homöopathische Thunfischtherapie wohl taugen mochte. Aber vielleicht gibt es dort draußen ja so etwas wie Thunfischschnupfen, eine Krankheit, die ich fortan nicht mehr bekommen würde. So oder so bin ich gespannt auf meine nächste Bahnfahrt. Ohne Zweifel wird die salatimanente Fischdosis weiter reduziert werden, die Delphine sind sicherer als je zuvor und auf der Speisekarte wird Thunfischsalat gestrichen und durch einen „Salat mit Thunfischduft“ ersetzt worden sein.

VON DER BESONDEREN BEDEUTUNG DER MEINUNGSFREIHEIT IN KRISENZEITEN

ZWISCHEN NEUSPRECH UND NIXDENK



Die Wirtschaftskrise hält uns in unerbittlichem Würgegriff.
Und noch hat leider keiner eine Möglichkeit gefunden, das Ganze den Terroristen in die Schuhe zu schieben.
Aber selbst ohne Al Qaida ist das Thema so populär, dass jeder dazu eine Meinung hat irgendwie.
Sogar ich.
Ich ahne beispielsweise, wer, wenn irgend jemand Konjunkturpakete schnürt, am Ende das Porto zahlen wird.
Außerdem bin ich der Meinung, dass man jemandem seinen Gürtel nicht wegnehmen sollte, wenn man möchte, dass er ihn enger schnallt.
Aber besagte Krise ist ja nicht unser einziges Problem. Es gibt so vieles, zu dem man gegenwärtig eine Meinung haben kann.
Zum Beispiel der Terror, der durch die hochinfektiöse Paranoidose Schäublensis Deutschland nach und nach zu einem einzigen Terrortrainingscamp mutieren lässt.
Aber man warnt uns zurecht: Als nächstes wollen diese Teroristen nämlich das Weiße Haus sprengen, haben die Amerikaner herausgefunden.
Natürlich wollen sie das. Und aus Blei Gold machen wollen sie auch.
Und damit ist beim besten Willen nicht zu spaßen...
Obwohl die Terrormischpoke es ja auch nur noch auf die Titelblätter schafft, wenn mal wieder ein Bin Laden Double einen Bartstrip einstudiert hat.
Aber Allah sei Dank, kann man ja nicht nur Terroristen überwachen:
Gleich nach denen kommen nämlich Angestellte.
Die großangelegten Überwachungsskandale sind allerdings auch schon wieder vergessen. Lidl legte mit Hilfe der Bildzeitung eine kleine Canossa-Bildstrecke zurück, und Telekom und Bahn Skandale sind bereits in aller Vergessen geraten, wobei ihr Nachbeben jeodch zumindest noch den König der Schaffner, den Schienensauron Mehdorn vom Bahnsitz gefegt hat.
Nichtsdestotrotz hat besagter Minister Schäuble, dessen schützende Hand damoklesschwertgleich allzeit über unseren Häuptern hängt, im Zuge dieser bedauerlichen Einzelfälle eine Sondersitzung einberufen. Deren zentrales Ergebnis war die Feststellung, dass Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer so schnell nicht zu schaffen sein werden.
Eine Information,welche die Titelblätter nur knapp verfehlte.
Vor allem weil sie harte Konkurrenz in der Welt der bedeutsamen Informationen hat.
Und das hat wieder etwas mit Meinungsfreiheit zu tun.
Wobei der Gedanke der Arbeitnehmerüberwachung natürlich vollkommen richtig ist. Überwachung schafft Sicherheit. Die Damen bei Lidl könnten schließlich nicht nur Pfandbons stehlen, sondern die Erlöse derselben auch auf Al Qaida Konten überweisen.
Gottseidank verhindert das jemand.
Ja, ob Sie es glauben oder nicht, ich bin für Mitarbeiterüberwachungsstandards.
Vor allem da ja Minister Schäuble im Sinne der Demokratie ja quasi mein Angestellter ist.
In diesem Zusammenhang wäre es sicher ratsam, mal seinen Hausmüll zu durchsuchen, seine Mails zu lesen, ein wenig sein Telefon abzuhören und zu schauen was er mit seinen Pfandbons anstellt.
Nur dass er nicht am Ende etwas tut, dass dem Unternehmen Deutschland schadet...
Die meisten Leute bewegen jedoch andere Sachen.
Obwohl ein Michael Jackson Comeback mir persönlich eines der unglaubwürdigsten Ablenkungsmannöver überhaupt scheint...
Doch auch hier sein noch einmal auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit hingewiesen.
Zu allem kann man schließlich eine Meinung haben.
Wobei der gute George Bernard Shaw schon ganz treffend bemerkte: „Geben Sie sich niemals mit einer einzige Meinung zufrieden.“. Und tatsächlich empfinde ich eine Mehrfachmeinung ungleich sinniger als gar keine.
Obwohl so viel Meinung dann doch schon wieder etwas bisschen viel ist. Aus diesem Grund wäre doch einfach mal eine kleine Internetzensur angebracht. Und weil man aber das Terrorlabel nicht überall draufkleben kann, jagt man hier eine andere Sau durchs schaudernde Dorf. Und das Kettenrasseln des kinderpornogaphischen Schreckgespenstes ist so markerschütternd, dass kaum einer wagt, darüber nachzudenken, was Internetzensur eigentlich bedeutet.
In Australien ist etwa kürzlich eine Liste von Seiten an die Öffentlichkeit gelangt, die die Regierung dort zu zensieren gedenkt. Erstaunlicherweise hat ein großer Prozentsatz derselben nicht einmal entfernt etwas mit Kinderpornographie zu tun.
Aber das ist sicher nur ein Zufall.
Schließlich wollen doch alle nur die Welt zu einem besseren Ort machen.
Dafür haben die Amerikaner sogar ihren Präsidenten schwarz angemalt.
Die Welt ist in Bewegung.
Und Deutschland genießt seine Meinungsfreiheit und vegetiert zwischen Abwrackprämie und Komasaufen.
Für den Erhalt dieser Meinungsfreiheit tun sogar die Mächtigen unserer zeit was sie können:
Bildung schrumpfen, Ängste schüren und den Inhalt von Massenmedien pervertieren.
Und das mit Erfolg: vielerorts macht man sich durch die Verwendung grammatikalisch korrekter Sätze schon verdächtig. Woanders sind selbst die Arbeitslosen so verängstigt, dass sie fürchten ihren Job zu verlieren und zuletzt wäre die Umschreibung des gängigen Fernsehprogramms als Sondermülldeponie eine unrealistische Schönwerbung.
All das Bemühen um meinungsfreiheit trägt prächtige Früchte, wie man kürzlich auch an der einer Aussage von Dayana Mendoza, ihres Zeichens Miss Universum, sehen konnte. Gemeinsam mit einer Kollegin hatte diese das Gefangenenlager Guantanamo besucht und schrieb darüber in ihrem Blog: „Guantanamo ist ja sooo lustig“.
Dank der investigativen Arbeit der schönsten Frau der Welt erfahren wir:
Die Welt hat Guantanamo verkannt.
Denn in Wirklichkeit ist das Lager eine riesige Hüpfburg und zu jeder vollen Stunde erscheint Buffy der Clown..
Es geht doch nichts über eine geschulte differenzierte Wahrnehmung.
Und eben diese lässt sich lernen: Lasst uns Bildung und Information entsagen, Angst haben und fernsehen. Und bald sind wir die besten Bürger, die ein Staat sich wünschen kann:
allesamt 100% meinungsfrei.

© christian von aster - www.vonaster.de