Montag, März 26, 2007

GRENZERFAHRUNG BUCHMESSE

Happy Manga Overkill

Buchmesse Leipzig.
Jedes Jahr wieder ein Vergnügen.
Und dieses Mal wieder: Buchpremiere. Und zwar um 16:30 Uhr.
Um das Ganze etwas spannender zu gestalten, trinken wir bis 16:00 Uhr in einem entlegenen Teil Leipzigs Kaffee. Hier testen wir auch den Videobeamer, der uns bei der Vorstellung unseres Buches unterstützen soll. Alles funktioniert einwandfrei. Wir begeben uns auf die falsche Autobahn und verfahren uns bis 16:10 Uhr so hoffnungslos wie möglich.
Es folgt telefonisch hilflose Kontaktaufnahme mit Leipziger Ureinwohnern.
Darauf Kurskorrektur.
Wenig später Kontaktpersonen auf Buchmesse darüber ins Bild setzen, dass möglicherweise Buchvorstellung ohne Buch und Autor stattfinden wird.
Im Anschluss Straßenverkehrsordnung kreativ ausgelegt.
Erlaubte 80 km/h großzügig aufgerundet.
16:20 Uhr Insichtkommung des Messegeländes.
Beschleunigung.
Einparken, aufladen, losrennen. Dabei wie motivierte Terroristen wirkend, auf dem Rücken Fotorolle, Stativ, hier eine Tasche, da ein Tasche. Irgendwo noch eine Tasche.
Karte kaufen.
Drehkreuz passieren. Irritiert sein. Weil: Alles wird von bizarren Kostümen beherrscht. Junge Menschen mit Hasenohren, Ninja-, Vampir- und Schulmädchen-Outfit lagern in den Gängen. Meine kargen Kenntnisse japanischer Comic-Kultur reichen zumindest aus, das Phänomen zu identifizieren: Manga. Manga verändert die Menschen. Besonders in Halle 2 und nicht immer zum positiven.
16:25: Vorbeihasten an jungen Menschen mit aufgemalten Bartstoppeln und Plastik-Schwert. Passieren von Fantasy-Gruppe. Zwerg mit Hammer. Bart bis zu den Füßen, daneben wogendes Dekolleté von ca. 1qm.
Früher war alles anders.
Wäre man damals als Halbwüchsiger in einem Biene Maja oder Heidi-Kostüm (ggf. auch Pittiplatsch und Lolek oder Bolek) bei irgend einer Messe aufgelaufen, wäre man wahrscheinlich achtkantig wieder rausgeflogen.
Heute kommt man damit umsonst rein.
16:28: Überhasteter Aufbau, Mikrofonübernahme. Charmant zusammenhangloses Gestammel. Technik-Kollaps. Beamer-Fehlfunktion. Improvistation. Buch vorgelesen. Bilder weggelassen.
16:45: Buch fertig gelesen. Beamer repariert. Triumph des Absurden. Jetzt also Bilder zeigen. Dafür Text weglassen. Publikum erträgt all das gleichmütig. Illustrator steht amüsiert im Hintergrund.
17:00: Lesung fertig. Applaus. Auch ohne albernes Kostüm. Mit wäre es womöglich mehr gewesen. Vormerken. Vielleicht Captain Future.
Das Publikum erhebt sich, ein junges Mädchen setzt seine 1,00 m langen Hasenohren auf und ich bin irgendwie neidisch.

Sonntag, März 18, 2007

AUF DIE JUGEND

ein Trinkspruch wider die Bigotterie


Nach dem 30. Tequila möchte ich nun eine kleine Pause einschieben.

Auch, wenn mein zehnjähriger Neffe dadurch vielleicht aufholen und das sonntägliche Wettsaufen doch noch für sich zu entscheiden wird.

Doch gerade ist auf dem Spielplatz gegenüber ein Rettungsteam vorgefahren. Die Sanitäter versuchen, ein halbes Dutzend bewusstloser Halbwüchsiger von ihren Jägermeisterflaschen zu trennen, und ich denke, dass es vielleicht nötig ist, ein paar Worte zu aktuellen Problemen zu verlieren.

Tatsächlich ist ein 16jähriger Komatrinker, keine gute Werbung für die Alkoholikerlobby.
Aber ein Jugendlicher, der sein suchtpotentialbedingtes Geltungsbedürfnis nicht im Zaum halten kann ist alles andere als repräsentativ. Seit Generationen saufen anständige Jugendliche sich lediglich bis in die Nähe des Komas, übergeben sich scherzend und gern auch in Gruppen und schlafen dann ein. Wenn sie Brüste haben, werden sie dann nicht selten noch ein wenig belästigt. Üblicherweise wird dann irgendwann aufgewacht und (ebenfalls in Gruppen) über Kopfschmerzen gejammert.

Einseitige journalistische Hetzkampagnen aber gefährden alkoholische Initiationsrituale.

Das gesellige Vorglühen, Abfüllen und Nachschütten sind, was wir nicht vergessen wollen, unabdingbarer Bestandteil unser Kultur
Die Anstrengungen gereifter Alkoholiker, die sich nicht selten bereits ein ganzes Menschenleben bemühen, ihren Kinder die Promille-Mysterien nahezubringen, drohen zunichte gemacht zu werden!

Was aber jene vermeintlichen Abstinenzler vergessen, ist der Umstand, dass der gegenwärtige Aufschwung unseres Landes nicht zuletzt auf beherzte Komasäufer zurückzuführen ist. Wie wir alle wissen, teilt sich die Alkoholsteuer hierzulande in drei Klassen auf: die Bier-, Branntwein-, und Schaumweinsteuer. Im Falle des hier verwendeten Tequilas verdient der Fiskus im Rahmen der Branntweinsteuer an 100 verkauften Litern 1.303 €. Unser komatöser Kamerad hat mit seinen 52 Gläsern somit etwa 1,50 € für Gevatter Staat erwirtschaftet. Und an dieser Stelle wird bereits ersichtlich, was Jugendliche Alkoholiker für dieses Land tun können. Chancen auf Arbeit haben sie nicht, werden kaum jemandem seine Rente sichern. Aber sie können trinken. Dementsprechend braucht es pro Abend kaum mehr als 1000 motivierte junge Menschen in allen größeren deutschen Städten, und der Aufschwung ist gesichert.

Das sind Zahlen über die niemand nachdenkt. Stattdessen infiltriert das verfrömmelte Gebaren maßvoller Trinker auch die Gemüter unserer jungen Hoffnungsträger. So fordert etwa eine Jugendliche, die sich nicht um das Volkswohl zu kümmern scheint, in einem Forum ein gesetzliches Limit von 45 Gläsern Tequila. So viel Verantwortungsbewusstsein. Aber leider am falschen Platz. Nimm deine Freunde Mädchen, zieht los, und 70 Tequila sollten euer Ziel sein! Im gleichen Forum, fordert ein anderer junger Mensch umsichtig, dass man dem tequilophilen Koma-Patienten nach dem Erwachen sein Abiturzeugnis wegnehmen möge. Nun, einem 16-jährigen sein Abitur abzuerkennen wird nicht leicht sein, aber der moralische Ansatz ehrt den Autor ohne Zweifel.

Doch bringt uns derlei weiter? Verbote? Reglementierungen? Mitnichten. Übermäßiger Alkoholkonsum ist seit Jahrhunderten einer der Grundpfeiler des Kapitals. Kultiviert im Zuge der Industrialisierung, als Unternehmer in vorbildlicher Manier und aus purer Freundlichkeit, günstige Kneipen unweit der Arbeiterbaracken auf den Werksgeländen errichteten.

An hehren Vorbildern wie diesen orientieren sich heute die Hersteller alkoholhaltiger trendiger Limonaden. Ihnen gebührt unser Dank, jedem quietschbunten Merchandise-Stand, an dem junge hippe Menschen anderen jungen Menschen ein Gläschen kredenzen! Jedem Hersteller, der ein Getränk mit einem derart lustigen Namen erfindet, dass alle im Kindergarten Spaß daran haben.

Nicht unsere Rüge. Auch wenn sie im Eifer des Gefechtes manchmal nach dem Alter zu fragen vergessen. Das Leben ist schließlich eine einzige bunte Party, eine große dufte Sause. Und wir lassen uns das feiern nicht verbieten.

Verdammt, jetzt hat der kleine Racker schon seinen 40. runtergekippt.

Jetzt muss ich mich aber ranhalten.

In diesem Sinne: Prost!

copyrihgt christian von aster